Morgen ist der deutsche Nationalfeiertag. Früher in unserer Ost-West-Deutschen WG in Jena, haben wir immer darauf angestoßen und uns gefreut, das wir zusammen sein konnten. Das fand ich sehr schön. Hier geht das Thema eher unter. Außer in den Medien (die wahrscheinlich auch froh sind mal über etwas anderes als Trump und das Coronavirus schreiben zu können). Und wie immer, sind die Artikel noch ok, aber bei den Kommentaren darunter wird es schwierig.
Ich finde dabei besonders eine Korrelation interessant: Diejenigen, die „überhaupt nicht verstehen, was die Ostdeutschen nach 30 Jahren noch zu meckern haben“ sind gleichzeitig auch diejenigen, die das westdeutsche System absolut setzen. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen kompliziert, aber ich meine damit, dass es viele Menschen in Westdeutschland gibt, die glauben, das politische und wirtschaftliche System der Bundesrepublik sei in einem höheren Sinne „richtig“. Während das System der DDR „falsch“ gewesen sei. Es ist schwierig mit Menschen, die von einer solchen Grundannahme ausgehen, über biografische Brüche und Anpassungsleistungen zu sprechen. Denn, wenn das System der Bundesrepublik „richtig“ ist, muss die Wende ja einer Befreiung gleich gekommen sein und solche Menschen können meist überhaupt nicht verstehen, wieso sich jemand ein besseres, feieres Leben schwierig finden könnte.
Ich dagegen finde es immer wieder faszinierend, wie wenig vielen Leuten bewusst ist, woher ihre Überzeugungen kommen. Denn die Gewissheit im „richtigen“ System zu leben, während das andere verdammungswürdig war, das ist natürlich Kalte Kriegs Rhetorik. Und jetzt werfen Menschen, die 31 Jahre nach Ende des Kalten Krieges noch kein neues Weltbild entwickelt haben, Menschen, die eine riesige Veränderung erlebt haben, vor, dass sie sich noch nicht vollständig angepasst haben. Witzig oder? Na ja und manchmal auch ganz schön frustrierend.
In solchen Zeiten vermeide ich die Kommentarspalten meist ganz, sonst wird das schwer mit dem Glauben an die Menschheit. Andererseits muss ich sie auch gar nicht lesen, denn die Kommentarspalten kommen zu mir: meine Schüler*innen geben im Unterricht treu wieder, was ihre Eltern ihnen am Abendessenstisch zu erzählt haben. Manche Eltern wären sicher froh, wenn ihre Kinder das nicht so offen erzählen würden. Aber das Gute hier ist: da kann ich auch noch eine andere Perspektive einbringen und manchmal hören die Schüler*innen mir auch zu. Das ist doch schon mehr als so eine Kommentarspalte mir gibt.