Die große Leere im Lockdown

Kennt ihr das? Das Gefühl dieser merkwürdigen Leere vor euch? Keine Pläne, keine Urlaube, keine Events – nur der nächste Tag, der verdächtig so wirkt wie der heute und der davor. Willkommen im Lockdown. Nach sieben Wochen beginnt es in mir zu Kribbeln. Ich habe das Gefühl etwas tun zu müssen, etwas planen zu müssen. Ein neues Hobby vielleicht? Einen Onlineabend mit Freunden? Eine weltverändernde Idee?

Ich war seit meiner Kindheit nicht mehr hier, wo nur das Jetzt zählt. Spätestens seit Ende der Schule ist Zeit kostbar und will genutzt werden. „Carpe diem“ stand auf den T-Shirts meiner Studienstiftung. Aber wie carpetet man den Tag, der einfach nur da ist? Und der morgige Tag auch einfach nur da sein wird? In der Ruhe des Lockdowns dringt die leise Fragen an die Oberfläche, wie das Leben eigentlich gelebt werden will. Und die Tagesschau-Todeszahlen schärfen das Bewusstsein dafür, dass dieses Leben endlich ist. Beide Erkenntnisse sind zu Beginn so angenehm wie ein kratzender alter Wollpulli. Aber dann, manchmal, fällt für einen Moment der Stress ab. Was, wenn es gar nicht nötig ist zu planen, jeden Tag zu nutzen, sich immer weiter zu verbessern? Ohne Corona macht diese Erkenntnis Angst, schließlich könnte sie dazu führen, im Wettlauf des Lebens den Anschluss zu verlieren. Keine coolen Urlaube mehr zu machen, nicht mehr die hippsten Sachen zu besitzen und sich nicht mehr ständig zu verbessern. Wie stand in meinem Poesieheft der zweiten Klasse: „Lernen ist wie Rudern gegen einen Strom, wer sich treiben lässt fällt zurück“. Der Spruch hat mir schon damals Angst gemacht. Was aber, wenn das alles Quatsch ist? Ich dachte immer, irgendwo ankommen zu müssen, Erwartungen erfüllen zu müssen und dann würde ich glücklich sein. Jetzt gibt es keine Erwartungen mehr, außer der, hier durchzukommen ohne wahnsinnig zu werden.

Und dann fällt mir ein Gespräch mit einem indischen Freund ein. Wir waren Mitte 20, er war bei uns zu Besuch und wir unterhielten uns darüber, wie wir unsere Wochenenden verbringen. Gagan meinte, er würde aufstehen, frühstücken und dann mal rausgehen, schauen wer da ist. Ich starrte ihn an. Selbst mit Mitte 20 waren meine Wochenendaktivitäten meist einen Monat im Voraus geplant – sonst hätte hier ja keiner mehr Zeit. Jetzt starrte Gagan mich an: „You Germans are crazy“. Und da hat er vielleicht Recht. Leben kann ja auch einfach mal gelebt werden, ohne geplant zu sein. Vielleicht nehme ich das auch der Lockdown-Leere mit. Das und die Erkenntnis, dass das Einzige, was ich wirklich vermisse andere Menschen sind. Und, dass ich mich sehr auf sie freue.

Suche das Positive

Letzte Woche habe ich mit meinen (von den neuen Beschränkungen deprimierten) Schüler*innen Mindmaps erstellt. Darauf sollten sie all die Dinge schreiben, die sie noch tun können, selbst wenn so viel grade nicht mehr geht. Nach den Stunden fühlte ich mich gut und dachte „wird schon“. Neue Woche, neue Probleme und plötzlich ist hier nix mehr entpannt und ich bräuchte selbst eine „Positiv-Mindmap“.

Seit letzter Woche ist Hessen in der Oberstufe zum „Wechselmodell“ übergegangen. Das heißt, in der A-Woche ist die Hälfte des Kurses da, in der B-Woche die andere Hälfte. Wer nicht da ist, wird digital unterrichtet. Klingt gut? Tut es auch, nur hat man vergessen den Lehrer zu klonen. Der muss nämlich beides machen: Distanzunterricht, Präsenzunterricht und dann noch den Digitalunterricht für die Schüler*innen in Quarantäne. Das war ja alles (mit ein paar durchgearbeiteten Sonntagen) noch möglich. Allerdings schrieb dann heute der Hort meines Kindes, dass sie ab nächster Woche nicht mehr betreuen können – Personalmangel, zu viele Risikogruppen irgend so was. Und jetzt? Müsste ich an dem durchgearbeiteten Sonntag noch für die Woche vorkochen und mich nochmal klonen lassen, um mein Kind zwei Mal die Woche von der Schule abzuholen. Mein Unterricht geht nämlich länger als der Grundschulunterricht. Und für alle, die jetzt fragen wollen „und wo ist dein Mann?“ Na, der passt auf die Kinder auf, während ich den Sonntag durcharbeite und holt an den anderen drei Tagen ab.

Also alles nicht so leicht grade. Der Mann ist deprimiert von der Gesamtsituation, dass Kind sowieso sauer, weil die besten Freunde in der anderen Kohorte gelandet sind und ich auch nicht mehr ganz so happy mit der vielen Arbeit. Suche das Positive…es wäre ja auch irgendwie schön, wenn wir hier durchkämen, ohne wahnsinnig zu werden.

Also, wo sind die Chancen, die guten Sachen an dieser nervigen Krise? Na ja, erstmal vielleicht darin, dass ich gelernt habe, was „radikale Akzeptanz“ bedeutet. Also nicht zu jammern, weil etwas so ist, wie es ist und wie unfair das ist (konnte ich früher total gut), sondern zu überlegen, was könnte es denn Gutes daran geben? Mir fällt mittlerweile tatsächlich immer ziemlich schnell etwas ein: Wenn das Kind zu Hause bleibt, minimieren wir den Kreis unserer Sozialkontakte massiv: Im Hort ist nämlich nicht nur ihre Klasse, sondern Kinder aus drei verschiedenen Grundschulen, sowie Kindergartenkinder. Also kriegen wir das mit „nur ein Viertel der Kontakte“ super gewuppt. Außerdem zweifele ich grade ganz schön, ob ich das in der Schule noch lange so mitmachen möchte. Und die Tatsache, dass ich jetzt an vier Tagen der Woche keine Kinderbetreuung mehr habe, gibt vielleicht einen guten Ausweg (wenn ich das möchte). Also gar nicht so schlecht vielleicht. Und in der vielen Zeit, die ich dann zu Hause verbringe, kann ich endlich mal Klavier lernen, per YouTube – wollte ich schon seit ich ein Kind war und ein Keyboard staubt noch im Keller ein. Wer also sagt, das Positive sei nicht zu finden , der lügt. Wer allerdings sagt, das hier sei eine super Zeit – der hat vielleicht ein bisschen zu lange durch die Positivbrille geschaut. Da muss man auch vorsichtig sein.