Ich lebe seit mehr als einem Jahrzehnt zwischen Ost und West. Und damit meine ich leider nicht etwas so Exotisches wie zwischen China und den USA, sondern ganz profan zwischen Jena in Thüringen und (ausgerechnet) Darmstadt in Hessen. Eigentlich bin ich mir sicher, dass weniger Exotik nicht möglich ist.
Und trotzdem, oder vielleicht grade deshalb, gibt es zwischen den beiden Orten kulturelle Unterschiede. Und zwar nicht nur, weil sich an dem einen alles um die Bratwurst dreht (Ist sie auch mit Ketchup ok? – Nein!) und am anderen leidenschaftlich darüber diskutiert wird, ob süß gespritzter Apfelwein akzeptabel ist. Der kleine kulturelle Graben zwischen Jena und Darmstadt ist nicht nur ein regionaler, er ist einer zwischen zwei Landesteilen, die 40 Jahre lang zu zwei verschiedenen Staaten gehörten und die auch danach noch viel ungleicher waren, als viele annehmen.
Wie üblich, ist das eher dem bewusst, der gekommen ist und als dem, der schon immer da war. Will heißen, der durchschnittliche, im Regelfall sehr liebenswerte, Darmstädter Bürger hat eher selten ein Gefühl dafür, was es ist, dass Thüringen und Hessen vielleicht etwas mehr voneinander unterscheidet als Hessen und Rheinland-Pfalz.
Für die, die gekommen ist, in diesem Fall für mich, ist es nicht immer so einfach. Mein Äußeres, meine Sprache, mein familiärer Hintergrund unterscheiden sich kaum von denen meiner Darmstädter Freund*innen. Sie nehmen daher oft an, ich sei ähnlich aufgewachsen wie sie. Das stimmt und gleichzeitig stimmt es auch gar nicht. Denn trotz aller Gemeinsamkeiten macht es einen großen Unterschied, ob man sein ganzes Leben im gleichen, stabilen, demokratischen Land mit etablierten Strukturen verbracht hat oder die Kindheit in einer Diktatur, die Jugend in einer chaotischen Umbruchssituation und das junge Erwachsenenleben in einer Aufbruchszeit. Weil das vielen aber kaum bewusst ist, werde ich nie danach gefragt. Wenn ich nach Ostdeutschland gefragt werde, dann um irritierende Phänomäne wie Pegida, Querdenker oder AfD-Wähler zu erklären. Meist stammle ich dann etwas von „fehlenden Erfahrungen mit Demokratie“, was in der Kürze niemandem weiterhilft.
Ich wünsche mir, dass ich irgendwann nicht mehr zwischen Ost und West lebe. Weil wir wirklich zusammengewachsen sind, wie es uns 1990 versprochen wurde. Für mich ist die Voraussetzung dafür, dass wie den jeweils anderen Landesteil mit seiner individuellen Geschichte akzeptieren und dafür müssen wir etwas übereinander wissen – dazu will dieses Blog einen kleinen Beitrag leisten.